Interview: Mit dem Journalisten Kai Diekmann geht es rund um das Thema: Warum Schule unbedingt eine digitale Revolution braucht. Der digitale Wandel ist in vollem Gange. Die technologischen Entwicklungen sind rasant und verändern die Art, wie sich Ihre Schüler:innen informieren, aber auch die Art, wie sie arbeiten und kommunizieren. Kai Diekmann war 2021 Speaker auf dem DSLK, diskutieren Sie gemeinsam mit ihm, warum Schule unbedingt eine digitale Revolution braucht, damit Deutschlands Schulen am Ball bleiben.
Herr Diekmann, wo steht Deutschland im Vergleich zum restlichen Europa bzw. der Welt bei der Digitalisierung?
Diekmann: Ich sage es einmal überspitzt: Andere haben ein Silicon Valley – wir Deutsche fürchten und suhlen uns eben lieber in paranoiden Schreckens-Szenarien einer digitalen Dystopie. Während zum Beispiel 1,4 Milliarden Chinesen Daten produzieren und teilen wie keine andere Kultur, hängen wir Deutschen am Bargeld und sind stolz auf unseren Mittelstand, der weltweit noch immer die besten Kugellager und Ventilatoren baut. Der Preis für die Haltung könnte sehr hoch sein.
Woran liegt es, dass Deutschland hier nicht mit an der Spitze liegt?
Diekmann: Wir sind in der Vergangenheit zu erfolgreich gewesen und leben noch heute davon: unsere Wirtschaftskraft, unser Ingenieurswesen, unsere Automobil-Industrie. Wenn die Auftragsbücher voll sind und die Maschinen laufen, ist die Notwendigkeit gering, sich mit digitalen Herausforderungen zu beschäftigen und die bequeme Gegenwart gegen eine ungewisse Zukunft einzutauschen. Die Angst vor Veränderung lähmt viele Menschen. Jemand hat mal gesagt: Der einzige Mensch, der Veränderung will, ist ein Baby mit einer vollen Windel. Menschen ändern sich selten gern – es sei denn, es geht ihnen schlecht. Wenn allerdings ein immer größerer Teil der Wertschöpfung künftig im Digitalen stattfindet, sind Veränderungen überlebenswichtig. Für den Erfolg von gestern kann ich mir morgen nichts kaufen. Wir zehren die Früchte der Schaffenskraft unserer Vorfahren auf, ohne genügend neue Samen zu pflanzen, um die deutsche Erfolgsgeschichte in den kommenden Jahrzehnten fortzusetzen.
Denken Sie, dass die Corona-Krise der Digitalisierung an deutschen Schulen schneller auf die Sprünge hilft?
Diekmann: Vor Corona hat mal jemand gesagt: Das Digitalste an Deutschlands Schulen seien die Pausen… Die Pandemie hat alles verändert: Auf der einen Seite wirkt Corona wie Sterbehilfe für alle alten und schon vor Ausbruch der Pandemie schwachen Geschäftsmodelle und Strukturen – auf der anderen Seite hat sie, die Seuche, einen Digitalisierungs-Schub ausgelöst. Im Lockdown haben die meisten Menschen viel mehr Zeit in den eigenen vier Wänden verbracht. Digitale Technologien wie die Videokonferenz mit der Familie und Freunden, Unterhaltungsangebote wie Streaming oder Gaming und die Möglichkeit, online einzukaufen, sind während der Corona-Krise für viele das Tor zur Welt gewesen. Das Googeln, Streamen, Chatten wird vom Virus nicht blockiert, sondern befördert. Gerade im Bildungssystem hat Corona brutal offengelegt, wie schlecht es um die digitale Kompetenz noch zu vieler Schulen und Lehrkräfte bestellt ist. Digitale Schulbücher? Fehlanzeige. IT-Experten, System-Administratoren an den Schulen? Fehlanzeige. Schulunterricht per Video? Häufig mangelhaft. Die gute Nachricht – und ich bin Optimist: Dass sich unser Bildungssystem noch in der digitalen Kreidezeit befinden, ist nach den monatelangen Erfahrungen im Homeschooling längst kein Thema mehr nur für Bildungspolitiker.
Können höhere staatliche Bildungsausgaben zu mehr Lernerfolg führen?
Diekmann: Ich bin – erstens – kein Bildungspolitiker. Zweitens: Natürlich gehört eine vernünftige Infrastruktur zu einem erfolgreichen Bildungswesen – es ist natürlich ein Unding, dass beispielsweise noch immer jede zweite Schule für Schüler kein Wlan bereitstellt. Drittens: Schon 2019 hat der Bund für den Digitalpakt 5 Milliarden Euro bereitgestellt – und im letzten Jahr noch einmal 1,5 Milliarde Euro draufgelegt. Davon waren aber bis Ende letzten Jahres überhaupt nur knapp 1,4 Milliarden Euro ausgegeben oder bewilligt. Aber: Nur weil Sie mehr Geld in das System kippen, erreichen Sie noch lange nicht die Veränderung in den Köpfen, die Sie als Voraussetzung für erfolgreiche Innovation brauchen. Warum eigentlich gelingt es anderen Ländern so viel besser, Mädchen für Mint-Fächer zu begeistern, obwohl sie bis zur Pubertät genauso an Mathe und Technik interessiert sind wie Jungs? Ist Informatik überall flächendeckend im Stundenplan? Was im Übrigen die Bedeutung von Infrastruktur angeht: Obwohl wir in Deutschland die besten Autobahnen der Welt haben, sind wir beim Bau von selbstfahrenden Autos trotzdem alles andere als Spitze.
Vielen Dank für das interessante Interview, Herr Diekmann
Falls Sie Interesse an dem Thema Digitalisierung haben, dann werfen Sie doch gerne einen Blick auf unser diesjährigen DSLK-Programm ! Dort finden Sie eine Übersicht zu den Vorträgen von unseren Top-Speakern und Themenfeldern aus diesem Jahr.