Im Gespräch mit Norman Graf beleuchten wir, wie Schulleitungen durch gezieltes KI Leadership die Bildung transformieren können. Erfahren Sie, welche strategischen Schritte notwendig sind, um Künstliche Intelligenz erfolgreich in den Schulalltag zu integrieren und eine zukunftsfähige Lernumgebung zu schaffen.
Herr Graf, Sie verwenden häufig den Begriff „KI-Leadership“. Können Sie näher erläutern, was dieser genau bedeutet und welche Kompetenzen eine Schulleitung entwickeln sollte, um den Einsatz von KI erfolgreich in den Schulalltag zu integrieren?
Wenn ich von KI Leadership in der Schulleitung spreche, meine ich damit im Grunde zwei zentrale Säulen, die untrennbar miteinander verbunden sind. Die erste Ebene ist die eigene Anwendung von KI. Das bedeutet, dass Sie als Schulleiterin oder Schulleiter nicht nur ein grundlegendes Verständnis für die Thematik entwickeln müssen, sondern auch aktiv verschiedene KI-Systeme kennenlernen und wissen, welche Anwendungen für welche Aufgaben geeignet sind. Es geht darum, selbst zu experimentieren und zu verstehen, wie KI-Tools funktionieren und wo ihre Stärken und Schwächen liegen.
Die zweite Ebene ist die Bereitstellung von Fachwissen für andere. Als KI-Leader sind Sie nicht nur Anwender, sondern auch Multiplikator. Sie müssen in der Lage sein, Ihr Wissen und Ihre Erfahrungen an Ihr Kollegium und die Schülerschaft weiterzugeben. Es geht darum, eine Kultur der Offenheit und des Lernens zu schaffen, in der sich alle Beteiligten sicher fühlen, mit KI zu experimentieren und sich weiterzubilden. Sie müssen also nicht nur selbst fit sein, sondern auch andere befähigen, KI sinnvoll und verantwortungsvoll einzusetzen.
Sie haben betont, dass die Integration von KI in die strategische Schulentwicklung nicht als bloßes Add-on verstanden werden sollte. Was bedeutet das genau, und welche weitreichenden Auswirkungen hat der Einsatz von KI im Bildungsbereich im Vergleich zu früheren technologischen Neuerungen?
Das ist ein ganz entscheidender Punkt, den ich immer wieder hervorheben möchte: KI in der strategischen Schulentwicklung ist weit mehr als nur ein zusätzliches Tool, das wir mal eben einführen. Es ist keine bloße Ergänzung, sondern ein fundamentaler Wandel, der alle Bereiche unserer Schulen betrifft. Frühere technologische Neuerungen, wie die Einführung von Computern oder digitalen Tafeln, waren oft punktuelle Verbesserungen. KI hingegen hat einen viel größeren Kontext und Input. Sie berührt wirklich alle Bereiche des schulischen Lebens und Lehrens.
Denken Sie nur an die Diskussionen über Aufgaben- und Prüfungsformate. Wenn Schülerinnen und Schüler mit KI in Sekundenschnelle Texte generieren können, müssen wir unsere traditionellen Prüfungsansätze grundlegend überdenken. Es geht nicht mehr nur darum, Wissen abzufragen, sondern Kompetenzen im Umgang mit Informationen und Tools zu entwickeln. Auch die Art und Weise, wie wir unterrichten, wie wir differenzieren, wie wir Feedback geben – all das wird durch KI beeinflusst.
Als Schulleitung und KI-Leader müssen Sie befähigt sein, diese komplexen Zusammenhänge zu überblicken und die Integration von KI aktiv in das eigene System einzubinden. Das bedeutet, dass wir uns nicht nur fragen müssen, wie wir KI einsetzen, sondern wofür und mit welchem pädagogischen Ziel. Es erfordert eine strategische Vision, die über den reinen Technologieeinsatz hinausgeht und die Auswirkungen auf Lehrpläne, Unterrichtsmethoden, Lehrerfortbildung und sogar die Schulorganisation berücksichtigt. Es ist eine Chance, Schule neu zu denken und zukunftsfähig zu gestalten.
Wie geht Ihre Schule mit der Skepsis gegenüber KI um, und welche Implementierungsstrategien haben sich als wirksam erwiesen, um eine breite Akzeptanz zu fördern und KI verbindlich in Lehrpläne zu integrieren?
Das Thema Skepsis ist absolut verständlich und begegnet uns immer wieder. Wir gehen damit sehr bewusst und strategisch um, indem wir eine Atmosphäre schaffen, die Offenheit und Experimentierfreude fördert, ohne jemanden zu überfordern. Unsere Hauptstrategie besteht darin, Angebote zu machen, deren Nutzung weitgehend freigestellt ist. Das bedeutet, dass wir unseren Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit geben, KI-Tools auszuprobieren und sich damit vertraut zu machen, ohne einen sofortigen Zwang zu verspüren. Wir lassen ihnen einen gewissen Zeitraum dafür, damit sie in ihrem eigenen Tempo lernen und sich entwickeln können.
Das Motto “Jeder kann, aber keiner muss” hat sich dabei als äußerst wirksam erwiesen. Es ermöglicht denjenigen, die von Natur aus neugierig und innovationsfreudig sind, sofort loszulegen und die Potenziale von KI für ihren Unterricht oder ihre Arbeit zu entdecken. Gleichzeitig nimmt es den Druck von den Skeptikern, die sich langsam an das Thema herantasten können. Wir haben festgestellt, dass viele Kolleginnen und Kollegen, die anfangs skeptisch waren, durch die positiven Erfahrungen ihrer Kolleginnen und Kollegen und durch die sichtbaren Vorteile von KI ermutigt wurden, es selbst auszuprobieren.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist, dass wir ab dem zweiten Halbjahr des aktuellen Schuljahres KI verbindlich in Lehrplänen in Fachgruppen diskutieren und verankern. Das bedeutet, dass KI nicht mehr nur eine Option ist, sondern ein fester Bestandteil des Unterrichts wird. Ab Klasse 7 werden unsere Schülerinnen und Schüler KI in jedem Fach einsetzen. Dieser Schritt ist notwendig, um sicherzustellen, dass alle Schülerinnen und Schüler die notwendigen Kompetenzen im Umgang mit KI entwickeln, die sie für ihre Zukunft brauchen werden. Es geht darum, ihnen die Werkzeuge an die Hand zu geben, um kritisch, kreativ und verantwortungsvoll mit dieser Technologie umzugehen.
Welche Empfehlungen geben Sie Schulleitungen, die am Anfang der KI-Integration stehen, um erfolgreich in das Thema einzusteigen und eine zukunftsfähige Schulgemeinschaft zu gestalten?
Erstens: Pflegen Sie eine positive Fehlerkultur. Das ist vielleicht der wichtigste Punkt überhaupt. KI ist ein neues Feld, und es wird Fehler geben. Das ist völlig normal und sogar wünschenswert, denn aus Fehlern lernen wir am meisten. Schaffen Sie einen Raum, in dem Experimentieren erlaubt ist und in dem man sich traut, Dinge auszuprobieren, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben. Kommunizieren Sie klar, dass es nicht darum geht, perfekt zu sein, sondern darum, gemeinsam zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Zweitens: Kommunizieren Sie Transparenz. Offenheit ist der Schlüssel. Erklären Sie, warum Sie KI einführen wollen, welche Ziele Sie damit verfolgen und wie der Prozess ablaufen wird. Nehmen Sie Bedenken ernst und gehen Sie auf Fragen ein. Wenn alle Beteiligten verstehen, warum dieser Schritt gegangen wird, und sich mitgenommen fühlen, ist die Akzeptanz deutlich höher. Das gilt für das Kollegium, die Eltern und natürlich auch für die Schülerinnen und Schüler.
Drittens: Beziehen Sie vorhandene KI-affine Kollegen ein, um Steuergruppen zu bilden. Sie müssen das Rad nicht neu erfinden und auch nicht alles alleine machen. In fast jeder Schule gibt es Kolleginnen und Kollegen, die bereits ein großes Interesse an digitalen Themen und vielleicht sogar schon erste Erfahrungen mit KI haben. Nutzen Sie dieses Potenzial! Bilden Sie Steuergruppen, in denen diese Kolleginnen und Kollegen ihr Wissen einbringen und als Multiplikatoren wirken können. Sie können andere motivieren, unterstützen und als Ansprechpartner fungieren. Das entlastet die Schulleitung und schafft eine breitere Basis für die Implementierung.
Und ganz wichtig: Verschließen Sie sich dem Thema nicht! Die Entwicklung im Bereich KI ist rasant, und KI wird nicht wieder verschwinden. Sie ist bereits jetzt ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft und wird es in Zukunft noch viel stärker sein. Unsere Schülerinnen und Schüler nutzen KI ohnehin. Wenn wir als Schule nicht proaktiv damit umgehen, verpassen wir die Chance, sie auf diese Zukunft vorzubereiten. Traditionelle Aufgabenformen, wie das Schreiben von 100 Sätzen, verlieren ihre Bedeutung, wenn sie in Sekunden mit KI erstellt werden können. Wir müssen uns fragen, welche Kompetenzen wirklich wichtig sind und wie wir diese im Zeitalter der KI vermitteln können. Es ist eine Herausforderung, aber vor allem eine riesige Chance, Bildung neu zu denken und unsere Schulen zukunftsfähig zu machen.
Der Interviewpartner
Norman Graf ist seit 2018 für die digitale Schulentwicklung an der Hoffmann-von-Fallersleben Realschule in Wolfsburg verantwortlich. Er implementierte das LMS itslearning, plante und leitete die Einführung der iPad-Klassen ab Jahrgang 7 und administriert rund 450 Geräte. Derzeit entwickelt er den Einsatz von KI an der Schule weiter. Seit 2022 ist er stellvertretender Schulleiter und verantwortet die digitale Schulentwicklung aus Schulleitungsperspektive. Überregional unterstützt er Schulen in der digitalen Transformation, unter anderem in Zusammenarbeit mit dem RLSB-Braunschweig in einer Fachtagsreihe zur digitalen Schulentwicklung von Grundschulen. Die digitale Bildung und der gezielte Einsatz von KI in Schulen sind für ihn eine Herzensangelegenheit, da sie eine entscheidende Rolle für die Schulentwicklung der Zukunft spielen.
Mehr über die Rolle von Künstlicher Intelligenz in der Prüfungskultur gibt es in der Podcast-Folge Kreide.KI.Klartext von Judith Erlmann und Dr. Diana Knodel im Gespräch mit Norman Graf.