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Setzt die Schulleitungen frei – Schule dänisch denken

„Ich stehe mit einem Bein im Knast“ – das ist ein gängiger Spruch unter Schulleitungen und Lehrkräften, den ich als Schulleiter in Berlin oft selbst gesagt habe. Tatsächlich bestätigen zwei Drittel aller befragten Personen, laut einer repräsentativen Schulleitungs-Umfrage der Deutsche Telekom Stiftung, dass sie im Alltag häufig in einer „Grauzone“ handeln.
Der Grund dafür seien unter anderem enge administrative Grenzen, die die Politik den Schulleitungen setzt. Beispiel Multiprofessionalität: Bildungsexpert:innen sind überzeugt, dass die Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachkräfte an Schulen die Umsetzung zeitgemäßer pädagogischer Konzepte sinnvoll unterstützt und darüber hinaus die Lehrkräfte entlastet.
Aber: Die dafür notwendigen Personalstellen werden von den Schulträgern häufig nicht zur Verfügung gestellt.
Die Schulleitungen – die in Deutschland keine Personalhoheit haben – sagen uns dann: Ich brauche eigentlich Sozialpädagog:innen oder IT-Spezialist:innen, aber mir sind die Hände gebunden und ich muss Umwege gehen, um diese dringend notwendigen Fachkräfte beschäftigen zu können.

Umgekehrt sagen Minister:innen oder Kolleg:innen aus der Bildungsverwaltung oft, dass viele Wünsche oder Änderungsvorschläge, die aus der Praxis kommen, unter geltenden Gesetzen und Verordnungen durchaus umsetzbar sind.

Wer hat jetzt recht? Und woher kommt die Verunsicherung bei den Schulleitungen? Wie können wir gegensteuern? Was können wir hier vielleicht vom Ausland lernen?

Klar ist für mich: Das System Schule steht und fällt mit einer starken Schulleitung. Sie schafft Entwicklungsmöglichkeiten für die Organisation als Ganzes, aber auch für Lehrkräfte und Schüler:innen. Aus meiner Sicht brauchen Schulleitungen in Deutschland dafür mehr oder klarere Handlungsspielräume als sie heute haben.

In Dänemark gehen wir grundsätzlich anders an Bildung heran. Die Schulleitungen haben mehr Gestaltungsspielräume als ihre Kolleg:innen in Deutschland, besitzen die Budget- und die Personalhoheit an ihrer jeweiligen Schule und verantworten auch den Ganztag, weil sie eng mit der Kinder- und Jugendarbeit einer Kommune zusammenarbeiten. Die Kommune ist in Dänemark ohnehin für alles verantwortlich: Schulen, Hort, Kinder- und Jugendarbeit. Das heißt dann auch, dass diese drei Akteure sich nicht nur Personal, sondern auch Räumlichkeiten teilen – nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Das Teilen von Räumen – und die enge Zusammenarbeit der Pädagog:innen bedeutet auch, dass, wenn im Ganztag gelernt wird oder auch gemeinsam Projekte umgesetzt werden, diese Leistungen auch in die Schulzeugnisse eingehen. In den Abendstunden übernehmen dann die „Jugendclubs“ die Räume und veranstalten Angebote im Rahmen der offenen Kinder und Jugendarbeit. Das Ergebnis: Schule ist für die Kinder und Jugendlichen in Dänemark nicht nur ein Lern-, sondern auch ein wichtiger Lebensort. Um das zu ermöglichen, können Schulleitungen das Personal im Vor- und Nachmittagsbereich flexibel einplanen und einsetzen. Zudem müssen die Leitungen aller Einrichtungen über Trägergrenzen hinaus gut und eng zusammenarbeiten. Das wäre aus meiner Sicht ein Weg, den ich mir auch für Deutschland wünschen würde.

Zurück zum Thema Multiprofessionalität an Schulen: In Dänemark haben wir alles unter einem Dach. Denn die Schulleitung ist auch „Chef:in“ für die Schulpsycholog:innen, die Lerntherapeut:innen – das sind Lehrkräfte mit Zusatzausbildung, die vor Ort in den Schulen aktiv und im Kollegium bekannt sind – für Ergotherapeut:innen oder sogar Schulzahnärzt:innen. Das heißt dann im Alltag zum Beispiel, dass Kinder mit besonderem Förderbedarf, etwa Legasthenie oder Dyskalkulie, zu diesen Themen im Ganztag unterstützt werden. In Deutschland habe ich erlebt, dass Eltern erst zum Jugendamt müssen, um einen Gutschein für Lerntherapie zu bekommen. Diese findet dann aber außerhalb von Schule statt – in Dänemark ist das undenkbar, weil hier für alles die Kommune zuständig ist. Diese enge Verzahnung ist ein Gewinn für alle Seiten – Institutionen, Eltern und Kinder. Denn die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren ermöglicht nicht nur den fachlichen Austausch, sondern auch die unkomplizierte Umsetzung von Fördermaßnahmen vor Ort.

Im Sinne unserer Kinder und Jugendlichen, die gute Bildung verdienen, meine ich, das kann ein Modell für Deutschland sein. Je nach Bedarf vor Ort wäre es dann so, dass Schulleitungen ihre multiprofessionellen Teams bedarfsgerecht und flexibel einsetzen. Ich meine: Schulleitungen und deren Kollegien kennen ihren Bedarf am besten und wissen, was Schule braucht. Geben wir ihnen die Freiheit, das Beste aus ihren Schulen herauszuholen!

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Über den Autor

Jacob Chammon ist seit dem 1. August 2023 Geschäftsführer der Deutsche Telekom Stiftung. Der gebürtige Däne ist ausgebildeter Lehrer für Dänisch, Deutsch als Fremdsprache, Geschichte und Musik und arbeitete zunächst an Schulen in Dänemark. 2011 kam Chammon nach Berlin und übernahm 2012 die Schulleitung der damals neugegründeten Deutsch-skandinavischen Gemeinschaftsschule. 2019 wechselte Chammon zum Forum Bildung Digitalisierung e. V. Zuletzt war er dort geschäftsführender Vorstand, zuständig für Strategie und Programmaktivitäten. 

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