Interview: Die Beraterin für Zukunftsbildung, Schule im Aufbruch Margret Rasfeld zeigt in diesem Interview auf, wie Sie die Zukunftskompetenzen Ihrer Schülerinnen und Schüler effektiv fördern können.
Kinder und Jugendliche sind durch Corona und die Klimakrise psychosozial belastet und gefährdet. Angst und Ohnmachtsgefühle sind verbreitet. Unser Bildungssystem muss so ausgerichtet sein, dass Schüler:innen das Wissen und die Fähigkeiten erwerben, um sich mit kreativen Ideen in eine nachhaltige Gestaltung der Schule und des Umfelds einzumischen und aus der Ohnmacht in die Wirksamkeit zu kommen. Mit dem FREI DAY werden Schulen zu Tat-Orten, zu Werkstätten und Wirkstätten für weltverantwortliches Handeln. Magret Rasfeld nimmt Sie mit in die Zukunft der Bildung. Die Transformation der Lernkultur braucht visionäre Schulleiter:innen, die Innovation in Sinn einbetten.
Frau Rasfeld, Sie sind in diesem Jahr beim Deutschen Schulleitungskongress als Referentin dabei. Mit welchem Thema bereichern Sie den Kongress?
Rasfeld: Mit einem KERN-Thema: Bildung für nachhaltige Entwicklung. Die Welt steckt in existenziellen Krisen. Menschliches Zusammenleben ist künftig auf Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen angewiesen. Das erfordert gesellschaftliche Transformation, einen grundlegenden Wandel in Einstellungen und Haltungen. Mit der AGENDA 2030 haben die Vereinten Nationen 17 wesentliche „Sustainable Development Goals“ identifiziert, um unseren Planeten zu erhalten und ein friedliches würdevolles Leben aller zu sichern. Ziel 4, Bildung für nachhaltige Entwicklung, ist der zentrale Schlüssel für die Umsetzung dieser Transformation. Man spricht heute von transformativer Bildung – diese
betrifft die Ebenen
- Unterricht: partizipativ, forschend, transformativ;
- Gebäude und Campus: nachhaltige Gestaltung und Beschaffung;
- Wirken in der Gesellschaft: sich einmischen, global denken und lokal handeln.
BNE beschränkt sich damit ausdrücklich nicht auf Wissensvermittlung. Gestaltungskompetenz und Selbstwirksamkeit sind die Schlüssel! Das erfordert einen Paradigmen-wechsel im Bildungssystem. Dafür hat Deutschland 2017 den Nationalen Aktionsplan BNE verabschiedet.
Werden unsere Kinder, Ihrer Meinung nach, in der Schule auf die Zukunft richtig vorbereitet?
Rasfeld: Ein klares Nein! Das Schulsystem ist ausgerichtet an Werten des 20. Jahrhunderts. Konkurrenz, Selektion, Defizitgeist, Normierung und mehr prägen das Schulsystem. In Zeiten, wo Herzensbildung, Kreativität und Systemverständnis bedeutsam sind, vermittelt der Lehrplan Zerstückelung, Fächer- Hierarchie, Gleichschritt, und das im kompetitiven Modus. Kontrolle, Angst, Stress prägen das System und die Menschen. Kinder üben schon früh Entfremdung durch Aufgaben, deren Sinn sie nicht verstehen, aber erfüllen müssen, in einem System von Belohnung und Bestrafung durch Ziffernoten. SchülerInnen fühlen sich darauf reduziert: Entwürdigung macht krank! Wir haben neunjährige Kinder im Burnout und das schon vor COVID. Es baut sich eine Welle aus Depression und Angst in der jungen Bevölkerung auf. „Wir brauchen Hilfe“ tituliert die Süddeutsche einen langen Artikel am 3.7.22 und konstatiert: Fast die Hälfte der deutschen Jugend gibt an, unter psychischen Belastungen zu leiden. Die Vodafone Studie April 22 hat bestätigende Ergebnisse. Seht uns und hört uns endlich zu – so die Botschaft der Jugend.
Welche Kompetenzen benötigen unsere Schülerinnen und Schüler, um gut auf die Zukunft vorbereitet zu sein?
Rasfeld: Die große Transformation braucht einen Haltungswandel. Von der Trennung in die Verbundenheit. Was wirklich zählt und gesund erhält, wissen wir aus der Gesundheitsforschung: Wertschätzung, Partizipation, Verantwortung, Sinn. Das betrifft die gelebte Lernund Schul-Kultur. Dabei sind wichtig die 4 Ks: Kreativität, kritischen Denken, Kooperation und Kommunikation. Weiterhin wichtig ist, dass junge Menschen die Begeisterung am Lernen behalten, eigenen Fragen nachgehen dürfen, sich untereinander stärken und stützen und dass sie mit Unsicherheiten und Veränderungen umzugehen lernen. In der durchgetakteten Sitz- und Schreibschule ist das nicht möglich. Es braucht das Lernen im Leben an sinnstiftenden Aufgaben.
Wie sieht die Bildung der Zukunft aus?
Rasfeld: Es geht um ein neues Menschenbild. Um einen Haltungswandel und inneres Wachstum aller. Zukunftslernen braucht WIR-Qualitäten: Kollaboration, Arbeiten an komplexen Aufgaben im Team, Scheitern als Lernquelle. Wenn das gelingt, erleben alle mehr Partizipation und Sinn. Kinder und Jugendliche, die sich anders bilden dürfen und die erfahren, dass sie in ihrer Individualität gesehen und wertgeschätzt werden und gleichzeitig die Kraft von Gemeinschaft erfahren, werden mit Freude Wertschätzung leben und Verantwortung übernehmen. Lernen im Wandel wird zur Hauptressource für Veränderung. Es geht um Vertrauen ins Ungewisse, Lernfähigkeit, Bewusstheit für das große Ganze, Gestaltungskompetenz und den Mut zum Handeln. Die Kinder und Jugendlichen müssen in den Mittelpunkt der Lernprozesse rücken. Sie müssen in alle sie betreffenden Fragestellungen einbezogen werden. Dies erfordert ein radikales Umdenken der Rolle des Lehrers – und der Schule. Lernformate, die diese Haltungen und Kompetenzen unterstützen, sind an den Schulen im Aufbruch erprobt und evaluiert: selbständiges Lernen, Pädagog:innen als Lernprozessbegleiter:innen, projektbasiertes lernen , Lernen im Leben durch Fächer wie „Verantwortung“ und „Herausforderung“, mit dem FREI DAY.
Vielen Dank für das aussagekräftige Interview, Frau Rasfeld!
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