Antimuslimischer Rassismus kommt auch in deutschen Schulen vor. Prof. Karim Fereidooni erklärt, wie Bildungsakteure dagegen arbeiten können.
An einem Gymnasium in NRW gab es kürzlich einen Fall, bei dem salafistische Schüler die Stimmung so sehr vergifteten, dass kein Musikunterricht mehr stattfinden konnte. Können Sie nachvollziehen, dass Menschen, die so etwas erleben, antimuslimische und rassistische Gedanken entwickeln?
Nein, das kann ich nicht. Rassistische Gedanken lösen das Problem nicht. Unter diesen salafistischen Bestrebungen leiden alle Menschen in dieser Klasse – nicht nur die weißen deutschen Christen. Aber diese Situation ist nicht tragbar. Die Schulleitung oder die Schulverwaltung sollte sich Unterstützung holen, zum Beispiel bei den Experten von Wegweiser e.V., der Schulpsychologie oder SystEx (Anm. der Red.: SystEx steht für Systemberatung Extremismusprävention und ist eine Beratungsstelle des Landes Nordrhein-Westfalen), die für Extremismusprävention zuständig sind.
Die AfD erhält derzeit viel Zuspruch – unter anderem durch antimuslimischen Rassismus. Welche Entwicklungen sehen Sie in der Bildungslandschaft in Bezug auf das Bewusstsein und den Umgang mit Rassismus? Gibt es positive Beispiele, die Hoffnung geben?
Ich glaube, dass Rassismuskritik in der ersten Phase der Lehrer*innenbildung ein zartes Pflänzchen ist, das in den letzten Jahren gewachsen ist. Das gibt mir Hoffnung.
Die Arbeit mit meinen Studierenden macht mir Mut. Das sind motivierte junge Menschen, die bereit sind, die Demokratie zu verteidigen. Darum geht es ja auch in der Politikdidaktik: jungen Menschen beizubringen, ihre Stimme zu erheben und für ein pluralistisches, demokratisches Miteinander einzustehen.
Die Demonstrationen der vergangenen Monate, bei denen Menschen gegen Rechts auf die Straße gingen, geben mir ebenfalls Hoffnung.
Ich glaube aber auch, dass das Eintreten für unsere Demokratie eine Daueraufgabe bleibt. Sie wird nicht abgeschlossen sein, weil Deutschland eine Migrationsgesellschaft ist. Ganz im Gegenteil: Menschen mit Migrationshintergrund bringen ihre undemokratischen Haltungen mit – wir haben gesicherte Befunde, dass antimuslimischer Rassismus bei Menschen mit internationaler Familiengeschichte häufiger vorkommt als bei anderen. Genauso wie Menschen ohne Migrationshintergrund ihre undemokratischen Haltungen salonfähig machen wollen. Es geht um Verlustängste, kulturelle Ängste, um Identität und die Angst um die deutsche Identität – und darum, dass rassistische Wissensbestände nicht aufgearbeitet werden.
Wie kam es dazu, dass Sie sich so intensiv mit diesen Themen auseinandersetzen?
Antisemitismus und Rassismus sind jahrhundertealte Vorstellungen, die heute noch unseren Alltag prägen. Die erste Person, die historisch über Rassen gesprochen hat, war Königin Isabella I. von Spanien im 16. Jahrhundert. Sie sagte, jüdische Menschen hätten ein anderes Blut und gehörten deshalb einer anderen Rasse an.
Der Glaube an unterschiedliche Rassen liegt bei 49 Prozent in unserer Gesellschaft vor (Rassismus-Monitor 2022). Ein Drittel der Bundesbürger glaubt, dass einige Völker fleißiger sind als andere. Rassismus und Antisemitismus sind wirkmächtige Fantasien, die weiterhin eine Rolle spielen. Darunter leidet die Wahrnehmung der Leistungsfähigkeit bestimmter Menschen, zum Beispiel bei Bewerbungsverfahren.
Deshalb setze ich mich gegen Rassismus ein: weil es dazu führt, dass wir in Schablonen denken – und das stört eine plurale, demokratische Gesellschaft. Ich glaube außerdem, dass Lehrkräfte eine besondere Verantwortung haben, weil sie den Staat repräsentieren.
Sie haben aber sicherlich nicht mit 15 gedacht, Sie werden Wissenschaftler und forschen zum Thema Rassismus?
Mit 15 wollte ich Politiker werden, um die Welt zu verändern. In meiner Familie wurde viel über Politik gesprochen. Dann wollte ich Lehrer werden. Ich habe mein Studium beendet und ein Stipendium erhalten, um meine Doktorarbeit zu schreiben. Dabei hatte ich die Hoffnung, irgendwann vielleicht eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen. Das ist aber schwer planbar. Denn ab einer gewissen Karrierestufe spielt Leistung keine Rolle mehr – sondern andere Faktoren wie Habitus und Netzwerke.
In Ihrer Untersuchung über „Rassismuserfahrungen im Lehrer*innenzimmer“ haben Sie spezifische Erfahrungen von Lehrkräften mit Migrationsgeschichte untersucht. Welche zentralen Ergebnisse konnten Sie dabei feststellen?
Der wichtigste Befund für mich ist folgender: Auch Lehrkräfte, die im Fragebogen angaben, keine Erfahrungen mit Rassismus gemacht zu haben, erzählten mir im direkten Gespräch, dass sie doch Rassismus erlebt haben. Das war spannend. Woran lagen diese unterschiedlichen Ergebnisse in der Untersuchung? Ich interpretiere das als Abwehrstrategien der Menschen – die Überzeugung zum Beispiel, dass es in Deutschland keinen Rassismus gibt, außer am rechten Rand oder bis 1945. Man ist eben immer der Spielverderber, wenn man solche Themen anspricht.
Welche Herausforderungen sehen Sie für Lehrkräfte, wenn es darum geht, rassistische Vorurteile oder Diskriminierung zu thematisieren?
Zeitmangel, ein voller Lehrplan, Aufgabenfülle und schlechte Rahmenbedingungen wie marode Schulgebäude sind die größten Hemmnisse.
Wie würden Sie die derzeitige Verbreitung von Rassismus in deutschen Schulen einschätzen? Gibt es bestimmte Themen oder Muster, die sich dabei herauskristallisieren?
Der Rassismus-Monitor berichtet, dass 73 Prozent der rassifizierten Personen zwischen 14 und 27 Jahren Erfahrungen mit Rassismus gemacht haben. Es gibt keine repräsentative Studie speziell zu Schüler*innen und Lehrkräften. Wenn das Bundesministerium für Bildung und Forschung Gelder bereitstellen würde, würde ich mich darauf bewerben. Ein weiterer Vorschlag von mir ist, dass Schulen mit dem Siegel „Schule ohne Rassismus“ überprüft werden, ob sie ihrer Verpflichtung nachkommen und was da überhaupt passiert. Dann hätten wir zusätzliche Erkenntnisse. Schulen, die nichts gegen Rassismus unternehmen, sollte dieses Siegel aberkannt werden.
Was berichten Schüler*innen mit Migrationsgeschichte über ihre Erfahrungen in der Schule? Welche Formen von Diskriminierung erleben sie am häufigsten?
Die Max-und-Moritz-Studie zeigt zum Beispiel, dass Ungerechtigkeiten – trotz gleicher Leistung – bei der Bewertung vorkommen. Wenn Sie Schüler*innen fragen, welche Kompetenzen sie sich von Lehrkräften wünschen, sagen sie: Fairness. Und eine rassistische Schule ist niemals fair. Wenn Schüler*innen die Institution Schule als unfair wahrnehmen, erhöht sich das Misstrauen in staatliche Institutionen.
Welche langfristigen Auswirkungen hat Unfairness auf die psychosoziale Entwicklung von Schüler*innen?
Ich kenne keine Studie dazu. Ich habe nur eine Untersuchung, die an unserer Universität das Thema bei unseren Studierenden erforscht hat. Diejenigen, die sich diskriminiert fühlen, sind weniger zufrieden mit ihrem Leben und Studium und glauben, sie hätten weniger Möglichkeiten, ihre Kompetenzen zu zeigen. Meinem Bauchgefühl nach müsste es bei Schüler*innen ähnlich sein.
Wie sollte eine Schulleitung damit umgehen, wenn sie antimuslimische Vorfälle auf dem Schulhof erlebt?
Das kommt auf den Einzelfall an. Aber ganz allgemein: Schauen Sie nicht weg und holen Sie sich Hilfe von außen. Sie können Forschende von Universitäten in der Nähe ansprechen, andere Expert*innen wie diejenigen von Wegweiser e.V. – und Sie können anfangen, eine eigene Antidiskriminierungsstelle aus mehreren Lehrkräften an Ihrer Schule aufzubauen.
Möchten Sie Lehrkräften und Schulleitungen, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen, noch eine Empfehlung mit auf den Weg geben?
Ja. Flippen Sie nicht aus, wenn ein Schüler oder eine Schülerin sagt: „Sie machen tollen Unterricht, aber letztens haben Sie etwas Rassistisches gesagt. Können wir darüber reden?“ Nutzen Sie solche Momente als Lernchance im Umgang mit Rassismus. Ich wünsche mir professionelle Kompetenz von Schulleitungen, Lebensrealitäten zu akzeptieren, die nicht die eigenen sind, und diese als Chance für lebenslanges Lernen zu sehen. Wir können uns vornehmen, anlasslos über Rassismus zu sprechen und gemeinsam mit den Herausforderungen umzugehen.
Die Fragen stellte Nina Braun

Über den Referenten
Prof. Dr. Karim Fereidooni von der Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung Fakultät für Sozialwissenschaft Ruhr-Universität Bochum
Bekannt durch seine Beratungstätigkeit für zwei Bundesregierungen (Merkel IV und Scholz) sowie seine Forschung zur rassismuskritischen Schulentwicklung, zählt Prof. Dr. Karim Fereidooni zu den führenden Stimmen in der politischen Bildung der Migrationsgesellschaft. In seinem Vortrag zeigt er, wie Schulen Antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus nicht nur thematisieren, sondern aktiv entgegenwirken können – durch reflektierte Schulkultur, differenzierte Lehrerbildung und klare Haltung im Schulalltag.
Sein Vortrag auf dem DSLK 2025:
Antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus in der Schule
Freitag, 28. November 2025, 11:15 – 12:15 Uhr