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Aus der Schule einen Safe-Space machen

„Die Schule sollte ein Safe Space für alle Kinder und Jugendlichen sein“, sagt unsere DSLK-Referentin Florence Brokowski-Shekete im Interview. Sie ist die erste Schwarze Schulamtsdirektorin Deutschlands und kennt die Erfahrung, sich nicht zugehörig zu fühlen. Sie weiß aber auch, was Schulen dagegen tun können.

Im niedersächsischen Oldenburg wurde Ostern 2025 ein junger Schwarzer Mann von hinten in den Rücken geschossen. Es wird über Rassismus und Polizeigewalt diskutiert. Was sind Ihre Gedanken dazu?

Zuerst denke ich daran, dass das ein Mensch ist, der eine Mutter und Familie hat, die um ihn trauert. Das schmerzt. Ich frage mich: Hätte diese Situation anders gelöst werden können, sodass er noch leben würde? Am Ende muss die Staatsanwaltschaft darüber entscheiden und dennoch bleibt große Trauer.

Sie haben ebenfalls erlebt, was es bedeutet, mit Rassismus konfrontiert zu werden. Können Sie von einer Erfahrung berichten, die Sie geprägt hat, und wie Sie darauf reagiert haben?

Es fällt mir eine Racial-Profiling-Situation ein. Als ich mein zweites Staatsexamen gemacht habe, hat die Seminarleiterin zu mir gesagt, dass meine Qualifikation nicht mehr wert sei als die einer Putzfrau. In dem Moment konnte ich nichts erwidern, da die Situation von Hierarchie geprägt war und ich recht jung war. Ich habe mir nur gedacht: Hoffentlich sehen wir uns noch ein zweites Mal im Leben. Heute wäre mir das egal, und ich würde kontern.

Wie kam diese Frau dazu, so etwas zu sagen?

Naja, es gibt Personen, die, wenn etwas nicht in ihr Weltbild passt, einfach so herausplatzen. Sie sind dann dreist und unhöflich — das passiert mir bis heute. Aber ich habe mich weiterentwickelt und kann sehr spitzzüngig werden, ohne unhöflich zu sein. Das bereuen die Leute dann schnell. Es war ein Prozess für mich, auch die Obrigkeitshörigkeit abzulegen. Es geht darum, Grenzen zu setzen, ohne zu beleidigen.

Hat sich das Bewusstsein für Rassismusbildung und Diskriminierung in der Gesellschaft in den letzten Jahren gewandelt?

Es gibt Menschen, deren Bewusstsein gewachsen ist und die schnell reagieren. Und es gibt diejenigen, denen das alles zu „woke“ ist. Es bilden sich, beispielsweise auf Social Media, Fronten.

Wie erleben Sie das im Schulalltag?

Ich bin ja nicht mehr im Schuldienst, deshalb bekomme ich das nicht mehr unmittelbar mit. Aber ich denke, das ist ähnlich. Es gibt Lehrkräfte, die stark sensibilisiert sind und die Themen in ihre Klassen tragen. Und es gibt Lehrkräfte, die damit nichts anfangen können. Einmal habe ich auf Facebook einen Artikel über mich gelesen. Da hat eine Lehrkraft, die mir bekannt ist, mit Klarnamen über mich hergezogen. Ich freue mich schon auf eine mögliche Begegnung. Dann werde ich die Person darauf ansprechen.

Inwiefern denken Sie, dass Rassismus und Diskriminierung innerhalb des Bildungssystems strukturell verankert sind?

In den Schulen ist noch wahnsinnig viel zu tun. Ich erlebe, dass diese Themen systemisch nicht ausreichend besprochen werden. Man muss erst Probleme offenlegen, bevor reagiert wird. Es wird jedoch nur selten direkt agiert.

Können Sie von konkreten Maßnahmen berichten, die Sie in Ihrem Arbeitsumfeld umgesetzt haben, um Rassismus zu bekämpfen?

Ich bin ja nicht Rassismus-Beauftragte. Das eine ist mein Arbeitsumfeld, und das andere sind meine Tätigkeiten als Autorin. Natürlich wirken aber indirekt mein Sein und mein Tun auf mein Arbeitsumfeld.

 Ein Beispiel: Vor zwei Jahren hatten wir in Baden-Württemberg einen Skandal bezüglich der Abiturlektüre „Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen. Dort wird das N-Wort auf vielen Seiten verwendet. Eine Lehrerin hat das Thema in die Presse gebracht, und es wurde dann breit diskutiert. Ich habe das erst einmal nur beobachtet und geschaut, wie das Kultusministerium damit umgeht. 

Es wurde im Folgenden thematisiert, dass dies ein Anlass sein könnte, um über Rassismus zu sprechen. Dabei wurde jedoch nicht bedacht, dass es auch Schwarze Schülerinnen und Schüler gibt, die nicht das Wort „N-Hure“ oder Ähnliches lesen wollen. Sie haben auch eine Mutter! Diese Perspektive wurde überhaupt nicht mitgedacht. 

Dann habe ich Kontakt mit dem Kultusministerium aufgenommen und war mir nicht sicher, ob man meine Meinung überhaupt hören wollte. Ich wurde jedoch positiv überrascht. Sie waren dankbar für meine Perspektive. Im folgenden Jahr war das Buch dann freiwillige Lektüre; aus bestimmten Gründen konnte es nicht komplett entfernt werden. Der Community ging das natürlich nicht weit genug. Ich sehe das aber eher als einen guten Schritt in die richtige Richtung, den man ausbauen kann. Ein weiteres Ergebnis war, dass man mich in den Landesschulbeirat berufen hat — und zwar als Schwarze Autorin, die diese Perspektive vertritt. Das hat mich sehr gefreut.

Welche Verantwortung tragen Schulen in der Gesellschaft hinsichtlich der Bekämpfung von Rassismus? Was können Bildungseinrichtungen tun, um zu einer gerechteren Gesellschaft beizutragen?

Die Strukturen sind meistens monoperspektivisch. Anfangen könnte man damit, mehr junge Menschen mit unterschiedlichen Wurzeln zu animieren, in den Lehrerinnenberuf zu gehen. Es gibt junge Leute, denen die Vorbilder fehlen und die sagen: “Ich als Schwarze Person kann doch keine weißen Kinder unterrichten.” 

Für Schulen gibt es natürlich auch Programme wie „Schule ohne Rassismus“. Das ist in vielen Institutionen sehr gut angekommen. Oder „Mosaik Deutschland“. Damit können sich Schulen Beratung von außen holen. 

In der Funktion als Schulamtsdirektorin: Welche Rolle spielen Schulbehörden dabei, ein diskriminierungsfreies Umfeld zu schaffen?

Es gibt bei uns eine Meldestelle für Diskriminierung; ich weiß jedoch nicht, ob es Folgen hat, wenn man sich dorthin wendet. Ansonsten ist das Thema bei uns nicht wirklich vollumfänglich präsent — zumindest erlebe ich das so. Daran merke ich, dass wir in einem Umfeld sind, in dem das Bewusstsein für die echten Probleme noch nicht gereift ist.

Welche Ratschläge geben Sie Bildungseinrichtungen, die eine diversitätsbewusste und rassismus-sensitive Kultur entwickeln wollen?

Ich empfehle: Holen Sie sich Beratung von betroffenen Personen, die ihre Erfahrungen teilen können. Das betrifft sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte. Menschen müssen erst einmal erkennen, was es bedeutet, im Alltag mit Rassismus konfrontiert zu werden. Ich mache das auch bei meinen Lesungen und Vorträgen. Ich erzähle von meinen Erlebnissen als Schülerin, Referendarin, Lehrerin und Schulleiterin und erkläre, was ich mir in diesen Situationen gewünscht hätte. Damit will ich das Bewusstsein dafür schaffen, was es in verschiedenen Ausprägungen alles gibt.

Der zweite Schritt wäre ein Workshop, um zu trainieren, was man in sensiblen Situationen sagen kann. Es geht nicht nur darum, zuzuhören, sondern auch das Gelernte anzuwenden. Was ist Relativierung? Wie gehe ich sensibel mit Schülerinnen und Schülern um? Dafür gibt es eine Vielzahl von Angeboten von Antirassismus-Trainern, bei deren Auswahl jedoch auf die Qualität geachtet werden muss, denn die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt.

Drittens sollten Schulen ihr Leitbild prüfen und gegebenenfalls überarbeiten. Dann schauen sie, wie sie das Leitbild zum Leben bringen können.

In den folgenden Jahren braucht es regelmäßige begleitende Reflexion oder Coaching: Wo stehen wir? Wie haben wir das Ganze gelebt? Was lief gut? Welche Probleme gibt es? Was habe ich richtig angewendet?

Warum ist es wichtig, dass sich Schulen in diesen Prozess begeben?

In Schulen haben wir Kinder und Jugendliche aus sämtlichen gesellschaftlichen Lebensrealitäten. Ein Kind oder Jugendlicher sollte sich in der Schule sicher fühlen — in einem sogenannten Safe Space. Wenn jedoch Lebensrealitäten nicht gesehen werden, ist das gefährlich und nimmt diesen Kindern und Jugendlichen Chancen.

Die Fragen stellte Nina Braun

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© Tanja Valérien

Über die Referentin

Florence Brokowski-Shekete ist deutsche SPIEGEL Bestseller Autorin, Podcasterin, Gastgeberin eines People Talks und Schulamtsdirektorin in Baden-Württemberg.

Mehr zu Florence Brokowski-Shekete finden Sie unter www.fbs-icc.com und https://de.wikipedia.org/wiki/Florence_Brokowski-Shekete.

Florence Brokowski-Shekete auf dem DSLK
Praxisforum Diskriminierungs- und Rassismussensible Pädagogik
Samstag, 29. November 2025
12:15–13:15 Uhr

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