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Lernwege sind wichtiger als Abschlüsse

Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar sagt, dass wir in einer Welt im Wandel Schulen brauchen, die stärker auf den Lernprozess als auf das Ergebnis setzen. Im Interview erklärt der Keynote-Speaker des DSLK u.a., wie KI den Prozess beschleunigen kann.

Als Vater von vier Kindern haben Sie den ein oder anderen Berührungspunkt mit Schulen gehabt. Inwiefern haben Schulen Ihre Kinder gut auf die Zukunft vorbereitet und inwiefern nicht?

Das ist sehr schwer eindeutig zu beantworten. Schule ist wichtig für meine Kinder gewesen, weil es bei dem Schulbesuch um ein Miteinander geht, weil es darum geht, soziale Kompetenzen zu lernen. Aber Schule kann auch sehr verletzend sein und Türen schließen, anstatt sie zu öffnen. 
Als Mensch, der Naturwissenschaft liebt, habe ich leider oft genug mit Menschen gesprochen, für die Mathe oder Physik Angst-Fächer waren. Insgesamt gibt es zu viel Angst in den Schulen – für mich als Kind war das noch die Angst vor physischen Verletzungen, heute ist es die Angst vor schlechten Noten oder davor, sitzen zu bleiben. Ich träume von einer Schule, die aus der Vokabel “Angst” “Lust” macht. Eine Schule, die “müssen” zu “wollen” verwandelt. Das setzt voraus, dass wir unsere Schulkultur ändern.

Es geht in Ihrem Vortrag auf dem Schulleitungskongress “Emils Welt” um Ihren heute fünfjährigen Enkel Emil und seine Zukunft. Was war der Auslöser dafür, das in den Mittelpunkt zu stellen?

Der Auslöser war, dass ich mich seit langem mit Innovationen und Veränderungen auseinandersetze. Wir reden gerne über die Zukunft. Zukunft ist für uns aber manchmal der Mülleimer für unerfüllte Träume, wie beispielsweise die Klimaneutralität.

Als ich dann meinen ersten Enkel auf dem Arm hielt, passierte Folgendes: Mir wurde klar, dass diese Generation das nächste Jahrhundert erleben wird. Für Emils Generation ist die Zukunft irgendwann Gegenwart. Das führte bei mir zu einer anderen Empathie, zu einer anderen Verantwortung. 

Zweitens ist die Welt für Emils Generation schon heute völlig anders als für uns. Diese Generation spricht selbstverständlich mit Maschinen. Aus UK gab es kürzlich die Meldung, dass das erste Wort eines Kindes nicht Mama oder Papa, sondern “Alexa” war. Wir erleben also gerade eine gigantische Transformation vieler Lebensbereiche, durch KI und durch die Notwendigkeit der Nachhaltigkeit. Jetzt merken wir langsam, wir müssen etwas an unserem Ressourcenverbrauch ändern, weil sonst die nächste Generation nicht mehr so leben kann wie wir.

Geht es noch etwas genauer? Ihr Vortrag trägt den Titel „Emil’s Welt – Eine Gesellschaft im Wandel“. Was  sind die zentralen Themen des Wandels, den Sie beobachten?

Beim Thema KI müssen wir genauer hingucken. Eine KI arbeitet produktorientiert. Das heißt, wir geben etwas hinein und ein fertiger Text kommt heraus. So funktionieren wir Menschen aber nicht. Wir arbeiten prozessorientiert und wachsen an Fehlern und Umwegen. In manchen Lebensbereichen hat sich das schon geändert. Früher hat man beispielsweise Menschen eingeladen und aus der Küche kam der fertige Sauerbraten oder anderes. Heute laden wir ein und kochen zusammen oder die Gäste erleben auf andere Weise den Schaffensprozess. 
Das haben wir noch nicht im Bildungssystem. Der Abschluss ist wichtig, die Note ist wichtig, aber nicht der Weg dahin. Das ist falsch, weil nach der Schule diese Prozesse immens wichtig werden.

Da sind wir schon mitten im Thema. Wie sehen Sie die Zukunft der Bildung in unseren Schulen? Welche Veränderungen halten Sie für notwendig, um junge Menschen besser auf die Herausforderungen der modernen Welt vorzubereiten?

Lernen ist etwas extrem Individuelles. Jeder Mensch, jede Lehrkraft kennt das. Es gibt Zeiten, in denen wir langsam lernen oder andersherum. Es ist absurd, dass wir vorschreiben, dass sich ein Mensch beispielsweise Dienstag um 10 Uhr für Mathe zu interessieren hat und Mittwochs um 11 Uhr für Deutsch. Das hat mit der Organisation zu tun, aber widerspricht der intrinsischen Qualität des Lernens. 

Und jetzt kommt die KI und immer mehr Erklärvideos. Das sind Optionen, mit denen der Einzelne individuell lernen kann. Dadurch lösen sich Strukturen des alten Bildungssystems voraussichtlich auf, das bezieht sich auf Leistung, Gleichtakt, zeitliche Vorgaben. Und das ist gut, denn später im Beruf muss ich dazu in der Lage sein, mir alleine neue Inhalte zu erschließen und das geschieht individuell.

Mit der stetigen Digitalisierung verändert sich die Art und Weise, wie wir lernen und unterrichten. Welche Chancen sehen Sie darin für die Bildung?

KI und Digitalisierung sind Chancen, aber es ist kein Ersatz. Wichtig ist, dass wir den Prozess in uns aufnehmen. Wir dürfen nicht irgendwann nur noch zu Bedienern werden, die per Knopfdruck eine Antwort bekommen. Das wäre ein Bruch mit der Aufklärung und die Aufklärung ist die Basis unseres Schulsystems und unserer Demokratie. Ein reflektierter Umgang mit KI ist nötig, denn das macht uns als Menschen aus. Wir sollten uns dafür entscheiden, sie manchmal zu verwenden und manchmal dafür, darauf zu verzichten.

Oft erscheint es so, als ob für viele Menschen nachhaltige Entwicklung eine nachrangige Bedeutung hat, obwohl es unsere Lebensgrundlagen sichert. Wo sehen Sie als Wissensvermittler das Kommunikationsproblem?

Es gibt die Notwendigkeit, mit den Ressourcen unseres Planeten besser umzugehen. Das letzte Jahr war das heißeste Jahr und für viele Versicherungen gleichzeitig auch das teuerste Jahr der Geschichte, was die Folgen der Erderwärmung betrifft. Das heißt, wir können uns irgendwann eine nicht nachhaltige Lebensweise nicht mehr leisten.

Das Zweite ist, dass wir bei Nachhaltigkeit einen moralischen Aspekt haben. Ich plädiere dafür, daraus einen inhaltlichen Aspekt daraus zu machen. Nachhaltigkeit ist sehr komplex und man kann das nur nach und nach umsetzen. Das ist ein Paradigmenwechsel und das ist sehr viel komplexer als nur ein Wort.

Wie sollten sich Schulen mit dem Thema „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ auseinandersetzen?

Das eine ist die Haltung. Aber es ist auch wichtig, die Komplexität in bestimmten Bereichen stärker zu verdeutlichen. Ich kenne sehr viele junge Menschen, die sehr für Nachhaltigkeit sind. Die aber nicht wissen, was das überhaupt bedeutet. 
Ein Beispiel: Wenn ich mit einem Benzinauto sechs mal volltanke und das Benzin verfahre, dann habe ich so viel CO2 produziert, wie das Auto wiegt. Das überrascht die Leute, denen ich das vorrechne. Ich denke, wir werden in Zukunft Ingenieurinnen und Ingenieure brauchen, die dieses Wissen haben. 
Darüber hinaus betrifft es die Kultur. Wir haben unser Bildungssystem impliziert eingebettet in ein ökonomisches System, wir lernen für das System, wir produzieren fleißig. Ich stelle die folgende Frage oft in Vorträgen: Wo liegt die Lösung: In der Technologie oder in der Kultur? Egal, wo ich diese Frage stelle – selbst wenn es sich um ein techniknahes Publikum handelt – lautet die Antwort von 70 – 80 Prozent der Menschen: Die Kultur.

Worum geht es also? Was ist dafür nötig, dass wir am Ende ein gutes Leben führen können? Brauchen wir dafür so viel Konsum?

Damit können wir in der Schule anfangen, die Kultur zu verändern. Was wünschen Sie sich von Schulleitungen für Emil und seine Generation?

Ich wünsche mir, dass sich Schulleitungen befreien können von den Ketten der Vergangenheit. Das Schulsystem mit seinem Fokus auf Disziplin, Leistungsorientierung, Gehorsam und nicht unbedingt Kreativität oder “Out of the Box” – Denken müssen wir verändern, damit es ein Schulsystem für das 21. Jahrhundert wird. Das bedeutet, es muss viel stärker der Prozess anstatt des Produkts im Vordergrund stehen. Die Schule sollte eine sehr viel stärkere Lernfähigkeit als Grundqualität einsetzen, die auch beinhaltet, Fehler zuzulassen und die Möglichkeit, daraus zu lernen. Es muss angstfrei sein und muss viel stärker die Sinnfrage stellen.

Die Fragen stellte Nina Braun

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Über den Referenten 

Ranga Yogeshwar ist Physiker, Wissenschaftsjournalist und Autor. In seinem Vortrag „Emils Welt – Eine Gesellschaft im Wandel“ geht es um die Zukunft seines Enkels Emil. “Nächste Ausfahrt Zukunft” heißt sein aktuelles Buch. Er entwickelte zahlreiche erfolgreiche Wissenschaftsreihen für das Fernsehen wie beispielsweise Quarks und Co und W wie Wissen.

Auf dem Schulleitungskongress moderiert Yogeshwar die Preisverleihung des DSLK-Schulpreises “Bildung für nachhaltige Entwicklung” am Freitag, 28.November 2025 16:45–18:00 Uhr, und hält anschließend die Keynote zum Thema “Emil´s Welt – Eine Gesellschaft im Wandel”.

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