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Verloren durch Corona

Interview: Prof. Dr. Marcus Eckert, welcher als Professor an der Apollon-Hochschule tätig ist, hält für Sie einige Tipps und Tricks bereit, wie Sie kompetent mit sozialemotionalen Folgen von Krisen umgehen können.

Zuerst die Pandemie, dann der Krieg. Beide Großkrisen führen zu einem Anstieg psychischer Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Ängste, Sorgen, Depression aber auch externalisierendes Problemverhalten (z.B. AD(H)S) steigen an. Während das Gefühl der Unsicherheit steigt, nimmt das Erleben von Selbstwirksamkeit ab. Wie können Lehrer:innen niederschwellig die psychosozialen Folgen der beiden Krisen abfangen? Wie können Sie Schüler:innen und deren Selbstwirksamkeitserleben stärken? In diesem Vortrag werden vor allem praxistaugliche Strategien und Impulse vermittelt.

Herr Prof. Eckert, Sie sind beim Deutschen Schulleitungskongress als Referent dabei, ohne zu viel zu verraten, auf was dürfen sich die Teilnehmenden in Ihrem Vortrag freuen?

Eckert: Die Krisen, die uns spürbar betreffen, nehmen zu – und sie gehen nicht spurlos an den Schülerinnen und Schülern vorüber. Das macht sich auch an Schulen bemerkbar. Studien zeigen (und im Einklang mit ihnen berichten Psychiater und Psychotherapeuten), dass die Anzahl der Kids, die unter Ängsten, Sorgen, Depressionen und AD(H)S leiden, deutlich gestiegen ist. In meinem Vortrag zeige ich, warum Krisen auf diese Weise psychisch wirken – und vor allem, wie wir damit umgehen können. Dabei lege ich meinen Fokus auf einen Umgang, der im Rahmen des Schulalltags praxistauglich und niederschwellig ist. Die Schulleitung geht mit umsetzbaren Strategien aus diesem Vortrag.

Mit welchen Problemen haben Schulen in der aktuellen Situation mit Corona immer noch zu kämpfen?

Eckert: Die Probleme der Schulen sind nicht erst seit der Pandemie vielfältiger und größer geworden. Gewisse Ausgangsbedingungen, die es schon vor der Pandemie gab (z.B. Lehrer:innen-Mangel), wirken mit den Herausforderungen, die durch die Pandemie verursacht wurden, zusammen. Zum Beispiel gab es während der Pandemie in vielen Schulen Konflikte über die Akzeptanz der Schutzmaßnahmen. Solche Konflikte sind kräftezerrend und wirken oft nachhaltig fort, da die „Akkus“ der Lehrer:innen leer und die Beziehungsebene teilweise noch nicht wieder intakt ist. Ein weiteres Beispiel betrifft die soziale Distanz. Dadurch ist vielen bewusst geworden, wie wichtig das soziale Miteinander ist, vor allem für unsere psychische Gesundheit – und welche Rolle die Schule hier spielt. Angststörungen, Depressionen und andere Folgen der sozialen Isolation sind seit einiger Zeit auch durch große Studien gut bekannt. Betroffene Personen brauchen Zeit, um sich davon zu erholen. Allerdings möchte ich dringend davor warnen, nur durch die Defizitbrille zu schauen. In der Medizin kennt man den Nocebo-Effekt: Wer erwartet, unerwünschte Nebenwirkungen zu bekommen, erhöht damit die Wahrscheinlichkeit, sie tatsächlich zu bekommen. Wenn Schülerinnen und Schüler immer wieder hören, dass die Folgen der Pandemie für ihre psychische, soziale und schulische Entwicklung schädlich oder gar gefährlich sind, kann das einen ungünstigen Einfluss auf die mentale Gesundheit und die Entwicklung der Kids haben. Wenn wir stattdessen den Fokus darauf verschieben, welche zahlreichen Bewältigungsstrategien die Kids entwickelt haben, dann wird das günstigere Auswirkungen auf psycho-soziale und schulische Entwicklungen mit sich bringen. Wir sollten den Fokus immer wieder auch auf die Chancen, die Ressourcen und die Kompetenzen legen, ohne die Probleme und Schwierigkeiten zu bagatellisieren. Wir wissen, dass dieser Fokus ein Teil von Resilienz ist, den man aktiv fördern kann. Und das sollten wir gemeinsam tun.

Welche weiteren Ängste und Probleme kommen durch den Krieg in der Ukraine im Schulalltag dazu?

Eckert: Hier muss man natürlich unterscheiden, wer auf welche Weise betroffen ist. Die Kinder und Jugendlichen, die aus den Kriegsgebieten zu uns kommen, sind selbstverständlich auf eine ganz andere Weise betroffen und benötigen andere Dinge als diejenigen, die „nur“ die Bilder in den Nachrichten sehen oder die Verunsicherungen hierzulande spüren. Aber auch das kann zu erheblichen Ängsten, Sorgen und Depressionen führen. Auf die Schulen kommen zusätzlich organisatorische Belastungen zu – wie gehen sie mit den Geflüchteten um? Dieser Aspekt sollte nicht vergessen werden.

Was können Sie den Schulleitungen mit an die Hand geben, was Sie im Schulalltag direkt anwenden können?

Eckert: Ich bin überzeugt, das wichtigste ist unsere Haltung: Die Kinder und Jugendlichen schauen sich Verhaltens- und Erlebensweisen ab. Wenn wir uns bemühen, gute Modelle für eine kompetenz-, resilienz- und wachstumsorientierte Fokussierung zu sein und das Vorleben, dann stärken wir damit die Schülerinnen und Schüler. Wenn wir uns bemühen, Modelle für demokratisches bzw. warmherziges, verständnisvolles Miteinander zu sein, wenn die Kids sehen können, dass es uns auch oft schwerfällt, Widersprüche auszuhalten und dass wir uns trotzdem darum bemühen, dann leisten wir schon sehr viel. Das
ist viel wirkungsvoller als das bloße Anwenden von bewährten Strategien. Die Haltung und die Authentizität machen den Unterschied.

Vielen Dank für das interessante Interview, Herr Prof. Dr. Eckert.

Falls Sie Interesse an dem Thema Schul- und Unterrichtsentwicklung neu denken haben, dann schauen Sie gerne bei unseren Programmausblick für 2023 vorbei! Dort finden Sie bereits eine kleine Übersicht zu den Vorträgen von unseren Top-Speakern und Themenfeldern, die Sie im nächsten Jahr erwarten.

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